Die besten Schriften 2009

Neues Jahr, neue Bestenliste. Nach 2007 und 2008 gibt es auch aus dem nun gerade hinter uns liegenden Jahr die meiner Meinung nach interessantesten typografischen Neuveröffentlichungen – wie immer garantiert subjektiv und handverlesen. Als Besonderheit veröffentlicht diesmal Christoph Koeberlin zeitgleich drüben auf Typefacts.com seine eigene Zusammenstellung. So kann das Jahr 2010 gleich doppelt inspirierend beginnen.

Ingeborg

Serif von Michael Hochleitner (AT) | Typejockeys (AT)

Ich habe Michael Hochleitner bekniet, dass er seine im Masterstudium an der Universität Reading entstandene Schriftfamilie beim FontFont-TypeBoard einreicht. Mit österreichischer Gelassenheit blieb Michael standhaft und berichtete mir stattdessen von seinem Vorhaben, eine eigene kleine Foundry und Agentur zu gründen. Dass Skepsis in diesem Fall fehl am Platz war, bewiesen er und seine beiden Typejockey-Kollegen mittlerweile eindrucksvoll.

Die Ingeborg selbst ist eine klassizistische Antiqua, die ihre historischen Vorbilder Didot und Bodoni stolz und dabei bemerkenswert zeitgemäß interpretiert. Ihr gelingt dies vor allem durch den nicht so großen Strichstärkenkontrast im Normalschnitt. Beim Spielen mit der Schrift entdeckt man immer neue fetzige Details, zum Beispiel den automatischen Richtungswechsel des Fähnchens beim g. Diese typografischen Ostereier erhöhen den Spaß an und mit der Ingeborg ungemein. Die beiden Blockvarianten setzen einer überdurchschnittlich durchdachten Schriftfamilie schließlich die Krone auf. Die Krone der besten Schrift des Jahres 2009.

Die nach des Gestalters Mutter benannte Familie besteht aus neun Schnitten: Regular, Bold, Heavy, Fat und deren Kursive, sowie der Zierversion Block.

FF Yoga & FF Yoga Sans

Schriftsystem (Serif und Sans Serif) von Xavier Dupré (F) | FontFont (D)

Elastizität, Balance und Spannung. Dafür steht nach dem praktizierenden Yogi Xavier Dupré die Kultur des Yoga. Da er diese Eigenschaften auch seinem neuesten Schriftsystem zuschreibt, benannte er es kurzerhand nach der indischen Entspannungstechnik. Seit einigen Wochen darf ich bereits mit ihr arbeiten und bin anhaltend begeistert. Egal wofür ich die FF Yoga einsetze, sie passt quasi immer. Die Serifenversion harmoniert, was man auch macht, einfach perfekt mit der Serifenlosen und umgekehrt.

Das Besondere an der Schriftdynastie ist nämlich die Tatsache, dass Dupré sie eben – eigentlich unüblich – zeitgleich gestaltete und vom Beginn als Schriftsystem konzipierte. So begreift er sie als zusammenhängendes Werk und kann jederzeit hin- und herspringen, um notfalls Korrekturen durchzuführen. Die so entstandene einträchtige Wechselwirkung lässt jede Gestaltung im Einklang mit sich selbst stehen. So trägt die FF Yoga am Ende auch durch diese Eigenschaft den perfekten Namen. Für mich schon jetzt eine ganz wichtige Schrift des neuen Jahrzehnts.

FF Yoga und FF Yoga Sans bestehen aus jeweils vier Schnitten: Regular, Italic, Bold und Bold Italic. Optische Größenvariationen und Display-Fassungen sind geplant. Bei Design Made in Germany gibt es noch ein spannendes Interview.

Novel

Serif von Christoph Dunst (D) | Büro Dunst (D)

Die Novel von Christoph Dunst war Mitte des Jahres die erste Schrift, die ich mir für die Jahresbestenliste notiert habe. Spätestens nach der Zusammenstellung des letzten Jahres dürfte klar sein, dass mein Herz vor allem für Antiquas mit einer leichten kalligrafischen Anmutung schlägt. Bei der Novel ist diese Anmutung durch ein Grundkonzept erkennbar, welches auf dem Schreiben mit einer breiten Feder basiert, besonders gut nachzuvollziehen in der fast aufrechten Kursiven. Hierdurch nehmen sich Textauszeichnungen dezent zurück, was ich besonders bei langen Texten beziehungsweise häufigen Auszeichnungen schätze. Christoph Dunst ist mit der Novel ein großartiges Debüt gelungen, das Lust auf mehr macht.

Novel besteht aus 12 Schnitten: ExtraLight, Light, Regular, SemiBold, Bold, ExtraBold und die jeweiligen Kursiven.

PTL Publicala

Sans Serif von Karl-Heinz Lange (D), Ole Schäfer (D) | primetype (D)

Bereits nach dem Typostammtisch im Oktober 2007 fieberte ich der Veröffentlichung der durch ihren Schöpfer Karl-Heinz Lange und Ole Schäfer überarbeiteten und ausgebauten Version der Publica des VEB Typoart entgegen. Zum 80. Geburtstag Langes war es 2009 endlich soweit. Als PTL Publicala wurde sie in Ole Schäfers primetype-Bibliothek wiederaufgelegt. Gemeinsam mit den zwei weiteren aufgefrischten ostdeutschen Klassikern Minima (als Minimala) und Super Grotesk (als Superla) bildet sie die Lange Collection und erhält so der gestaltenden Nachwelt ein großes typografisches Erbe.

Obgleich ich persönlich weniger Freude an der Aufteilung der Fonts in separate Kapitälchen-, Expert-, Tabellenziffer- und Versalzifferschnitte habe, weiß die PTL Publicala dieses „Manko“ durch ihre handwerklich herausstechenden Zeichenformen sowie wirklich gemäßigten Platzbedarf wettzumachen. Ihre kalligrafischen Wurzeln verleihen ihr einen weichen, geradezu harmonischen Charakter, der Publikalationen mit eben jener Intention perfekt in Szene setzt. Wenn man dann noch weiß, mit welcher Leidenschaft Karl-Heinz Lange gemeinsam mit Ole Schäfer in den letzten Jahren an den Schriften gearbeitet hat, kommt man gar nicht mehr umhin, diese lang gereifte Arbeit zu würdigen.

PTL Publicala besteht aus 60 Einzelfonts, jedoch letztlich aus den Schnitten Normal, Book, Demi, Bold, Extrabold und den passenden Kursiven.

FF Milo Serif

Serif von Mike Abbink (USA) | FontFont (D)

Indra Kupferschmid hält sie für „die Neuerscheinung des Jahres.“ Die FF Milo Serif sei „wunderbar klar, lesbar und freundlich, auch auf dem Bildschirm, in Drucksachen sowieso. Für mich eine der universellsten Leseschriften und mit ihrer serifenlosen Mutter sehr vielseitig einsetzbar.“ HD Schellnack meint, „dass die Serif in vielen Details weit von der Sans abweicht – größer wirkt, offener und den i-Punkt zB höher hat, aber ästhetisch eben doch – aber nicht ZU offensichtlich – passt.“ Wer kann den beiden widersprechen? Ich jedenfalls nicht. Hammerschrift!

FF Milo Serif besteht aus zwölf Einzelschnitten: Regular, Text, Medium, Bold, Extrabold, Black und den entsprechenden Kursiven.

Klimax

Display von Ondrej Jób (SK) | Typotheque (NL)

Fett. Ultrafett. Extremfett. Also fetter geht es jedenfalls nicht mehr (und wohl auch nicht dünner). Ondrej Jóbs Klimax gewann bereits den TDC-Award, mittlerweile kann man sie lizenzieren und damit endlich ihrer Bestimmung gerecht werden lassen: Druckerfarbe zur Mangelware werden zu lassen.

Der slowakische Designer Ondrej Jób zog mit einem bereits oft versuchten, aber selten wirklich funktionierenden Gestaltungsprinzip, durchdacht variierend alle Register einer typografisch ansprechenden Zierschrift. Selbst im kleinsten mathematischen Zeichen steckt eine ungewöhnliche kreative Finesse, die die Klimax nicht nur absolut unverwechselbar macht, sondern zu immer neuen Entdeckungen im Satz auffordert. Die dünne Version (Minus) macht die Familie letztlich zu einem Pflichtkauf, denn sie vergrößert das Spektrum möglicher Einsatzbereiche noch einmal enorm.

Klimax besteht aus den vier Schnitten Plus, Plus Italic, Minus und Minus Italic.

Biographer

Script von Angel Koziupa (AR), Alejandro Paul (AR) | Sudtipos (AR)

Was Alejandro Paul seit einigen Jahren mit seinem Label Sudtipos fabriziert ist schon bemerkenswert. Längst hat er sich als der Experte für zeitgenössische Schreibschriften etabliert und haut mit zahlreichen südamerikanischen Designerkollegen einen Scriptfont nach dem anderen heraus. Preise und Awards fallen dabei wie Selbstverständlichkeiten ab, seine Sammlung von Anwendungsbeispielen, die er gern in seinen Präsentationen zeigt, wächst als gäbe es kein Morgen mehr.

Zwar habe ich mit Schreibschriften in der Regel weniger am Hut, wenn sie aber exzessiven Gebrauch von OpenType-Funktionen machen oder ausladende Ober- und Unterlängen haben (dafür habe ich aufgrund meiner eigenen Handschrift ein gewisses Faible), werde auch ich zum Script-Fan. Biographer hat vor allem Letzteres, zu allem Überfluss auch noch als variierende Alternativformen. Dadurch strotzt das mit ihr Gesetzte von einem sanften Selbstbewusstsein, während es sich zugleich zu benehmen weiß und eine moderne Eleganz ausstrahlt. Da die Vorzüge von OpenType hier zwar nicht exzessiv, wohl aber pointiert und gekonnt angewendet werden, tanzt Biographer locker in die Reihe der besten Schriften 2009.

Biographer ist ein Einzelschnitt.

Loreto

Serif von Pablo Cosgaya (AR), Eduardo Omar Rodríguez Tunni (AR) | Tipo (AR)

Die auffallend kleine x-Höhe – oder sollte man lieber sagen die auffallend großen Versalbuchstaben? – behaupten sich hervorragend im Fließtext. Schnell wird klar, die Loreto ist ein zuverlässiges und genügsames Arbeitspferd. Sie zieht umfangreichste Texte mühelos durch noch so widerspenstige Bedruckstoffe.

Dass sie sich aber als einfaches Gemüt versteht wird bei der Politik der Familienzusammenstellung klar. Sie besteht nämlich nur aus drei Schnitten: Medium (welche auch als Regular hätte durchgehen können), Italic und einem fetten Schnitt. Mehr braucht man schließlich nicht wirklich im Mengensatz. Hinter dieser Philosophie vermute ich weniger argentinische Faulheit als vielmehr eine Absicht, die ich an dieser Stelle auch mal würdigen möchte. Genauso Absicht dürfte der platzsparende Charakter der Loreto sein, der sie zu einer hervorragenden Schrift für die Buchgestaltung und fürs Editorial Design macht.

Loreto besteht aus den drei Schnitten Medium, Italic und Bold.

Luxus Brut

Script von Roland Hörmann (AT) | phospho (AT)

Mit Zierschriften kann man mich selten aus der Euphoriereserve locken. Die Luxus Brut vom mir bis dato unbekannten österreichischen Designer Roland Hörmann schaffte dies jedoch sofort. Obwohl nicht gemacht für das Setzen allzu vieler Zeichen nacheinander und schon gar nicht über mehrere Zeilen hinweg, entfaltet sie ihre volle Wirkung eben beim Berücksichtigen dieser Grundsätze.

Inspiriert von der Beschriftung einer Buchbinderwerkstatt in Wien kann ich mir die Luxus Brut insbesondere im gehobenen Verpackungsdesign – hoffentlich zu ungunsten der omnipräsenten und unfachmännisch eingesetzten Zapfino – vorstellen, oder eben auch in ausgesuchten architektonischen Bereichen. Die unterhalb der Grundlinie stehenden Großbuchstaben spielen dort ihre ganze Stärke aus. Ein kleiner Wermutstropfen: die eine oder andere weitere alternative Zeichenform hätte ich mir durchaus gewünscht, gleichwohl schon auf einige per OpenType-Funktion automatisch zum gegenseitigen Verbinden zugegriffen wird. Vielleicht aber kommen ja mehr Glyphen (und Strichstärken) bei einem späteren Update der Schrift dazu.

Luxus Brut ist ein Einzelschnitt.

FF Unit Slab

Slab Serif von Erik Spiekermann (D), Christian Schwartz (USA), Kris Sowersby (NZ) | FontFont (D)

Wenn sich einer der besten Schriftgestalter der letzten 20 Jahre mit einem der besten der letzten zehn Jahre und diese mit einem der besten der letzten paar Jahre zusammentun, kann im Grund nix mehr schiefgehen. Erik Spiekermann, Christian Schwartz und Kris Sowersby schufen schließlich mit der FF Unit Slab eine weitere nützliche und vor allem trendbewusste Addition zum FF-Unit-Schriftsystem.

Zusammen mit der normalen FF Unit und der Rounded wurde damit nun eine enorme Vielzahl an Anwendungsbereichen abgedeckt. Der Slab merkt man dabei klar die Einflüsse ihrer drei Väter an. Während sie von Erik Spiekermann ihren unverkennbaren Grundcharakter erhalten hat, ist es am Ende Kris Sowersbys und Christian Schwartzs Erbgut, das bereits aus der FF Meta Serif einen stimmigen und robusten Genkompott machte und ein qualitativ hochwertiges Typobaby erschuf, welches gar keine Anstalten macht, sich im großen Sandkasten der Egyptiennes vor seinen Artgenossen zu verstecken.

FF Unit Slab besteht aus 14 Schnitten: Thin, Light, Regular, Medium, Bold, Black, Ultra und deren Kursiven.

Weitere bemerkenswerte Schriften des letzten Jahres sind:

Ich danke allen Foundries herzlich für das unkomplizierte Bereitstellen ihrer Schriften.