Die besten Schriften 2011

Verlieren wir auch diesmal keine Zeit mit langen Vorreden: wie zum Ende bzw. Anfang eines jeden Jahres präsentiere ich die besten typografischen Neuerscheinungen des vergangenen zwölf Monate … aus meiner ganz persönlichen subjektiven Sicht:

Elena

Serif von Nicole Dotin (USA) | Process Type Foundry (USA)

Trotz der quantitativ und qualitativ stetig wachsenden Dichte an Schriftneuerscheinungen gibt es in jedem Jahr mindestens eine Familie, in die ich mich glattweg beim ersten Blick verliebe. In diesem Jahr war Elena meine Herzdame.

Der Grundsatz lautet: Schriften für den Mengensatz müssen sich dem Joch des Inhalts unterwerfen und dürfen deshalb nicht extravagant sein. Einige wenige Gestalter beherrschen jedoch die subtile Kunst, diese Regel zu brechen und Schriften zu gestalten, die trotz ihres eigenständigen Charakters auch nach 200 Seiten nicht störend wirken oder sich zu sehr aufdrängen. Zu diesen begnadeten Gestaltern gehören zum Beispiel Fred Smeijers (Fresco, FF Quadraat, Arnhem), Christian Schwartz (Farnham) und Cyrus Highsmith (Prensa). Seit 2011 dürfen wir auch Nicole Dotin dazu zählen.

Mir gefällt, dass Elena bewusst Verzicht übt und ausschließlich aus den klassischen vier Grundschnitten besteht. Eben nicht mehr als was man für einen gut gestalteten Mengentext braucht. Elena umfasst 4 Fonts: die klassischen Grundschnitte Regular, Regular Italic, Bold und Bold Italic.

Siri

Sans Serif von Göran Söderström (S) | Letters from Sweden (S)

Siri sorgte 2011 gleich für doppelt Furore. Einmal in Gestalt von Apples Software-Assistent, welches Roddenberry’sche Zukunftsvisionen ins Hier und Jetzt beamt, und einmal in Gestalt von Göran Söderströms neuer Serifenlosen, mit der er seine vielversprechende eigene Foundry Letters from Sweden gründete.

Söderström, der sich in der Typowelt schon mit Schriften wie FF Dagny, Satura und Meadow einen Namen machte, hat mit Siri eine sehr eigenständige, charakterstarke Grotesk geschaffen. Die leicht schmalfetten Buchstabenformen verhalten sich platzsparend, die große Mittellänge sorgt für eine hervorragende Lesbarkeit. Der nordische Frauenname – den er auch seiner 2011 geborenen Tochter verpasste – steht für Schönheit und Stärke. Eigenschaften, die auch ohne diese Erklärung die 16-köpfige Familie bestens charakterisieren. Mit der umfangreichen Palette von Thin bis Black (inklusive ihrer Kursiven) wird Siri zu einer perfekten Unternehmensschrift, setzt aber auch im redaktionellen Bereich Akzente. Vier OpenType-Stylistic-Sets, die Alternativen für l, g, a und t bereithalten, halten sogar noch mehr individuelle Optionen bereit.

Ein weiterer Clou ist die Siri Core. Das ist eine für kleine Bildschirmgrößen hand-gehintete Version der vier Grundschnitte Regular, Italic, Bold und Bold Italic. Der Buchstabenabstand und einige Details wurden für digitale Ausgabemedien optimiert. Als ob das nicht reicht, gibt es auch eine Siri Core Schoolbook, die die Stylistic-Set-Alternativen standardmäßig bereithält und damit insgesamt noch klarer wirkt. Eine hochinteressante Familie also mit hohen Ansprüchen an heutige technische Herausforderungen. Söderström gelingt damit ein toller Start seiner Foundry, der Lust auf noch mehr Letters from Sweden macht.

Siri umfasst 24 Fonts: die Grund-Siri hat 8 aufrechte Schnitte (Thin, Light, Regular, Medium, Semi Bold, Bold, Extra Bold, Black) plus Kursive, die Siri Core und die Siri Core Schoolbook haben je 4 Schnitte (Regular, Italic, Bold und Bold Italic).

FF Ernestine

Slab Serif von Nina Stössinger (CH) | FontFont (D)

Auf Typophile stieß ich seinerzeit auf Nina Stössingers Entwurfsprozess der Ernestine. Sofort war ich von ihrer freundlichen, gleichzeitig aber stabilen Anmutung begeistert. Also die der Ernestine. ;) Mittlerweile ist die draufgängerische monolineare Slab-Serif stolzer Bestandteil der Schriftbibliothek meines Arbeitgebers, nachdem ich Nina um eine Einreichung bei FontFont bat. Vor wenigen Wochen konnten wir sie nach intensiver Arbeit endlich veröffentlichen.

Natürlich bin ich ob dieses Hintergrundes befangen. Auch, weil ich weiß, wie viel Zeit, Herzblut und Liebe Nina in ihren Erstling gesteckt hat. Aber genau das sieht man der FF Ernestine eben auch an. Dadurch gelang es Nina, im dichten Schriftendschungel eine Lücke zu besetzen, die man vorher vielleicht nicht vermisst hat, nachher aber auf keinen Fall mehr vermissen möchte. Auch muss ich zugeben, dass ich sie nun, da ich mit den Fonts täglich arbeiten darf, sogar von Tag zu Tag noch mehr mag. Ihre mannigfaltigen Einsatzmöglichkeiten sind beeindruckend. Ein Logo ist ebenso ausdrucksstark und schnell mit ihr gestaltet wie umfangreicher Fließtext, als Webfont lässt sie ebenso keine Wünsche offen wie als in sehr kleinen Größen. Ich bedaure lediglich, dass ich bisher noch keinen Gebrauch des von Hrant Papazian beigesteuerten Armenisch machen konnte.

FF Ernestine umfasst 8 Fonts: Light, Regular, Demi Bold und Bold plus Kursive.

Genath

Serif von François Rappo (CH) | Optimo (CH)

Inspiriert von einem Schriftmuster von Johann Wilhelm Hass aus dem Jahre 1720, steht mit Genath nun die wohl bisher beste Caslon-Alternative zur Verfügung. Ziemlich Fleischmannig. Genath umfasst 8 Fonts: Light, Regular und Bold und die jeweiligen Kursiven sowie einen Schnitt für Postergröße inklusive Kursive (Display und Display Italic).

Pollen

Serif von Eduardo Berliner (BR) | Type Together (AR/CZ)

Eine atemberaubend schöne, kalligrafisch beeinflusste Antiqua mit bereicherndem brasilianischen Einschlag. Pollen umfasst 3 Fonts: Regular, Italic und Bold.

FF Sero

Sans Serif von Jörg Hemker (D) | FontFont (D)

Eine sehr untypische amerikanische Grotesk: ausgeprägter humanistischer Charakter, dabei extrem gut ausgebaut, insbesondere sprachlich (kyrillisch & griechisch). FF Sero umfasst 16 Fonts: die 8 Aufrechten (Extra Thin, Thin, Extra Light, Light, Regular, Medium, Bold, Black) und deren dazugehörige Kursive.

Walbaum Grotesk

Sans Serif von František Štorm (CZ) | Storm Type Foundry (CZ)

Eine serifenlose Version der Walbaum vom begnadeten František Štorm – Herz, was willst du mehr? Walbaum Grotesk umfasst 12 Fonts: 6 aufrechte Schnitte (Light, Book, Text, Book Bold, Text Bold, Black) und deren Kursivvarianten.

Aria

Display von Rui Abreu (POR) | Fountain (S)

Überdurchschnittlich kontrasteich, schwungvoll, schnörkelig. Mit zahlreichen Alternativformen, Ornamenten und Ornamentziffern für mich die Jahresbeste des Genres der Displayschriften. Aria umfasst 2 Fonts: Regular und Italic.

LB Gordon

Display von Lan Huang (AU) | Letterbox (AU)

Als großer Fan von Catch Words (wie heißen die Überschriftenhelfer eigentlich auf Deutsch?) bin ich 2011 immer wieder erfreut über diese durchdachte Displayfamilie gestolpert. Trotzdem sie auf Minuskeln verzichtet. Gordon (Black) ist ein Einzelschnitt.

Novel Sans

Sans Serif von Christoph Dunst (D) | Büro Dunst (D)

Die Antiqua-Novel war bereits 2009 Teil meiner Bestenliste. Zwei Jahre später komplettierte Christoph Dunst sie um eine sehr harmonische, weiche Serifenlose, die auch als Condensed vorliegt, sowie Monospaced-Varianten. I like (sagt man heute wohl).

Novel Sans besteht aus 12 Fonts: 6 aufrechte Schnitte (Extra Light, Light, Regular, Semi Bold, Bold, Extra Bold) und deren kursive Gegenstücke. Die Condensed und die Mono – die Ur-Novel sowieso – sind analog dazu ausgebaut.

Weitere

Es ist wirklich schwierig, sich für die zehn Neuerscheinungen für die Bestenliste zu entscheiden. Folgende hätten durchaus auch das Zeug dazu gehabt:

Weitere Jahreslisten finden sich bei Typographica, Typefacts und MyFonts.

Noch nicht genug von großartigen Schriften? Meine Bestenlisten der Jahre 2010, 2009, 2008 und 2007 schaffen Abhilfe.